Die Blockchain. Was ist das?
FRIEDEMANN BRENNEIS, HÖRFUNK- UND ONLINE-JOURNALIST
Kaum ein anderes Wort elektrisiert die Finanzbranche derzeit so sehr wie „Blockchain“. Große Zukunftstechnologie für die einen, sehen andere darin einen völlig überzogenen Hype. Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte.
Technisch gesehen ist die Blockchain zweifellos eine bahnbrechende Innovation, die nicht nur die Finanzbranche nachhaltig verändern wird. Doch kann sie längst nicht alle Versprechen erfüllen, die derzeit in ihrem Namen gemacht werden. Denn die Blockchain ist beides: genial und unzureichend. Zumindest noch. Blockchain hier, Blockchain dort. Nicht nur in der Finanzbranche ist „Blockchain“ der Begriff der Stunde. So trifft sich Anfang Oktober zum Beispiel auch die Gesundheitsbranche zu einer Blockchain-Konferenz in den USA, das Kinderhilfswerk UNICEF überlegt, die Technologie zur Registrierung von Kindern in Kriegs- und Krisengebieten zu nutzen und unlängst suchte selbst die NATO in einem Ideenwettbewerb nach militärischen Anwendungsmöglichkeiten für die Blockchain-Technologie. Doch wie gerechtfertigt ist eigentlich all diese Aufmerksamkeit?
Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, kommt nicht umhin, sich zunächst einmal damit auseinandersetzen, was die Blockchain ist und wie sie funktioniert. Und vor allem: Welches Problem sie überhaupt löst. Genau hier liegt nämlich der Schlüssel, um zwischen übertriebenem Blockchain-Hype und dem wahren Potenzial dieser Technologie unterscheiden zu können. Denn zunächst einmal löst die Blockchain kein spezifisches Problem der Finanzbranche, sondern ein Problem der Theoretischen Informatik: das Problem der Byzantinischen Generäle. Das ist insofern bemerkenswert, als dass dieses Problem bislang als beweisbar unlösbar galt. Es besagt, dass es in einem dezentralen Netzwerk unmöglich ist, Einigkeit herzustellen. Man könne nämlich niemals wissen, welcher Teilnehmer nach den Regeln spielt und wer nicht.
Willkommen im Internet der Werte
Wie relevant dieses Problem für unseren Alltag ist, zeigt ein Blick auf das Internet, das größte dezentrale Netz der Welt. Denn längst lassen sich Daten und Informationen problemlos online verschicken und verwalten. Über Server, Clouds und auch in dezentralen Peer-to-Peer-Netzwerken. Allerdings wird es schwierig, sobald es um Daten mit Wert geht. Möchte ich zum Beispiel Geld online verschicken, dann brauche ich dafür immer einen Mittelsmann, der die Echtheit der Transaktion verifiziert, diese durchführt und die Richtigkeit des Geldflusses für alle Beteiligten garantiert. Dieser Prozess funktioniert, ist jedoch aufwändig und daher langsam und teuer. Zudem beinhaltet er Sicherheitsrisiken, denn zentrale Institutionen, wie bspw. die Server einer Bank, sind sogenannte Single Points of Failure, also kritische Schwachstellen, die es Angreifern ermöglichen, ihre Anstrengungen auf einen Punkt zu konzentrieren und dort möglichst großen Schaden anzurichten.
Die Blockchain ist nun wiederum eine Datenbank, die das Problem der Byzantinischen Generäle überwunden hat. Die Konsequenz daraus ist, dass es uns mit der Blockchain erstmalig möglich ist, einmalige Daten nicht über Mittelsmänner, sondern direkt im Internet zu verwalten. Daten mit Wert, wie bspw. Geld, Stimmen bei einer Wahl, Zertifikate, Patente u.v.m. Die Blockchain erweitert das Internet somit technisch um vollkommen neue Funktionen. Gleichzeitig macht sie bisherige, aufwändig über Mittelsmänner organisierte Validierungsprozesse schneller, billiger und sicherer.
Insbesondere die Sicherheit ist dabei eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Denn obwohl die Blockchain aktuell Werte im zweistelligen Milliardenbereich verwaltet und ihr Quellcode frei und offen im Internet steht, ist es in mehr als siebeneinhalb Jahren noch niemandem gelungen, das System zu korrumpieren. Im Gegenteil: Das Bitcoin-Netzwerk, das die Blockchain betreibt, wächst beständig und ist mittlerweile das rechenstärkste Netzwerk der Welt.
Keine Blockchain ohne Bitcoin
Doch wie schafft es die Blockchain überhaupt, das Problem der Byzantinischen Generäle zu lösen? Was macht sie anders als die Forscher und Entwickler, die das Problem jahrzehntelang nicht lösen konnten? Die Antwort ist: Bitcoin. Denn obwohl das digitale Geld insbesondere in der Finanzbranche ungern thematisiert wird, ist es doch der Schlüssel zum Geheimnis der Blockchain. Denn auch die Blockchain hat das Problem der Byzantinischen Generäle nicht gelöst. Sie umgeht es vielmehr permanent, indem die Blockchain diejenigen mit Bitcoins belohnt, die sich konstruktiv für die Pflege und Sicherheit des gemeinsamen Netzwerks engagieren. So setzt sie den ökonomischen Anreiz, der nötig ist, um ein kollektives Bollwerk aus Rechenpower zu erschaffen, das es potentiellen Angreifern nahezu unmöglich macht, dagegen anzukommen. Denn da die Blockchain per Design keine Single Points of Failure hat, müssen Angreifer es immer mit dem gesamten Netzwerk aufnehmen.
Bislang ist das jedoch noch niemandem gelungen und die Daten in der Blockchain gelten daher als zensur- und manipulationssicher. Kein Staat, keine Institution, kein Unternehmen und keine Einzelperson kann verändern, was einmal in der Blockchain steht. Nur das Netzwerk selbst kann Einträge ergänzen. Diese beiden Eigenschaften, die Dokumentation aller jemals getätigten Einträge in Verbindung mit einer absoluten Zensur- und Manipulationsresistenz, machen die Blockchain für viele Anwendungen auf der ganzen Welt interessant. Und da die Blockchain-Technologie frei und kostenlos zugänglich ist, nutzen bereits Millionen Menschen die Technologie und experimentieren mit ihren Möglichkeiten.
Die Blockchain ist also eine technische Innovation, die ein ganz bestimmtes Problem von dezentralen Netzwerken löst und dadurch enormes Potenzial hat, weil sie uns eine Vielzahl neuer Optionen im Umgang mit dem Internet eröffnet. Sie ermöglicht das schnelle, kostengünstige und sichere Verwalten einmaliger und werthaltiger Daten direkt im Internet und macht damit viele Dienstleistungen von Mittelsmännern wie bspw. Banken überflüssig. Das digitale Geld Bitcoin ist dabei für die Funktion der Blockchain jedoch von elementarer Bedeutung, da sie nur durch eine eigene, interne Ökonomie funktioniert.
Die Blockchain - genial, aber kein Allheilsbringer
Die Blockchain ist also eine Lösung für ein ganz spezifisches Problem: Einigkeit herstellen in einem dezentralen Netzwerk. Sie schafft damit etwas, was vorher als unmöglich galt. Doch das hat seinen Preis. Die Blockchain im Vergleich zu bisherigen Datenbank-Lösungen als effizient zu bezeichnen, wäre ziemlich übertrieben. Kritiker werfen ihr nicht nur einen übermäßigen Verbrauch von Ressourcen vor, sondern auch, dass sich die Technologie nicht schnell genug auf den Maßstab einer globalen Weltwirtschaft skalieren lässt.
In der Tat befindet sich die Bitcoin-Blockchain seit geraumer Zeit an einer Wachstumsgrenze, die es ihr nicht ermöglicht, mehr als sieben Transaktionen pro Sekunde zuzulassen, obwohl tausende Computer auf der ganzen Welt nicht anderes machen, als permanent an der Blockchain zu arbeiten. Viel mehr als nötig wären, um eine vergleichbare Datenbank in einem zentralisierten Netzwerk zu verwalten. Doch auch wenn die Blockchain aktuell noch nicht allen Idealen entspricht, so wäre es fatal diesen Status Quo als final zu sehen. Dass sie heute noch nicht alles leisten kann, was von ihr erwartet wird, heißt nicht, dass das auch für morgen gilt. Denn die Blockchain ist kein Produkt, sie ist vielmehr ein Prozess und kaum eine andere Technologie wird derzeit so schnell und intensiv durch Wirtschaft, Wissenschaft und eine globale Community weiterentwickelt, wie sie.
Zudem wird in der aktuellen Debatte oft außer Acht gelassen, dass die Blockchain keine Universallösung ist, mit der sich jedes beliebige Problem lösen lässt. Vielmehr muss man sie als eine Art Spezialwerkzeug betrachten. Immerhin wurde sie ursprünglich nur für einen einzigen Zweck kreiert: um ein digitales Geld zu erschaffen und im Internet zu verwalten, das gänzlich ohne Staaten und Banken auskommt. Genau das macht die Blockchain seit siebeneinhalb Jahren mit wachsendem Erfolg äußerst zuverlässig. Was sie darüber hinaus noch zu leisten in der Lage ist, da stehen wir gerade erst am Anfang, das herauszufinden.