Investors’ Meeting 2022
Die Neuvermessung der Welt
Zeitenwende, Zerreißprobe, Zukunftsprognosen
Ein neues Koordinatensystem für die Globalisierung?
Mit Scheinwerferlicht auf die dunklen Wolken leuchten, die am Konjunkturhimmel aufziehen und tief über unserer globalisierten Welt hängen: Mitte September ist Investors-Meeting-Zeit, mit Rückblick auf die Halbjahreszahlen und Vorschau auf politisch-wirtschaftliche Entwicklungen, die uns und die Welt bewegen. Das globale Koordinatensystem verschiebt sich, und wir haben nachgemessen. Moderator Andreas Scholz sprach mit Oberst a.D. Wolfgang Richter, Stiftung Wissenschaft und Politik, Prof. Dr. Sebastian Heilmann, Inhaber des Lehrstuhls Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier, und Dr. Friederike (Fritzi) Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW-Bankengruppe. Unser Fokus lag auf Begegnungen vor Ort: Rund 80 Teilnehmende kamen im exklusiven Kreis zusammen, um in die neue, multipolare Welt mit all ihren Schwierigkeiten und Chancen einzutauchen. Lesen Sie hier nach, was unsere Expert*innen auf der Bühne und die Gäste im Saal bewegte.
Die Vermessung der AKA meint beim Investors‘ Meeting: Unsere Geschäftsführung gibt Einblick in die Geschäftsentwicklung der Kernprodukte, zeigt Kreditabschlüsse, beleuchtet Risikomanagement, Portfoliostruktur, Eigenmittelausbau, Ertragslage und Refinanzierungsaktivitäten. Zusätzlich durften unsere Gäste dieses Jahr einen Blick auf die Meilensteine aus 70 Jahren AKA-Treasury werfen – von den ersten Geldmarktaktivitäten bis zu Kapitalmarktabschlüssen über 800 Mio. Euro.
Zahlen, Daten, Fakten: AKA Halbjahreszahlen als Präsentation
AKA-HALBJAHRESZAHLEN 2022 (PDF)
Die wirtschaftliche Neuvermessung in so vielen Bereichen – ESG, Energietransformation, Rohstoffversorgung, Risikoveränderungen – bietet Chancen für die AKA. Die andere Seite der Medaille, nämlich köchelnde Konflikte und bereits zerreißende Achsen und Ketten unserer Wirtschaftsordnung, die beleuchteten unsere Keynote-Speaker.
Warum kann ein Kampfpanzer alleine keine Stadt erobern? Was steckt hinter der Wiedergeburt des großen Chinas? Wird die USA aufgrund des nächsten Wahlergebnisses handlungsunfähig und warum wäre dies eine historische Gelegenheit für China? Was hat die grüne Transformation mit Kreislaufwirtschaft zu tun?
Sie wollen alles sehen und hören, was auf der Bühne geschah? Dann schreiben Sie uns, und wir schicken Ihnen gerne den Mitschnitt der Veranstaltung: dialog@akabank.de
Der Globalisierungsexperte
China gegen USA oder die entkoppelten Technosphären der Poliglobalisierung
„Wir sind in einem neuen Koordinatensystem, und das ist ziemlich hässlich“, führte Prof. Dr. Sebastian Heilmann direkt zu Beginn seines Vortrags aus. Heißt: Politische Systemkonflikte zwischen autoritären Systemen und liberalen Demokratien bestimmen unsere multidimensionale Zeitenwende. Märkte werden zum Sicherheitsrisiko. Wir erleben die Wiederkehr von Großmachtkonflikten. Es folgen Jahre konfliktträchtiger Deglobalisierung – angetrieben von Sicherheitskalkülen und Bedrohungsrisiken statt wirtschaftlicher Kostenoptimierung. Laut Prof. Dr. Heilmann ist es sogar mehr als bloße Deglobalisierung. Poliglobalisierung passt besser. Eine von China getriebene Globalisierung schiebt sich neben die von den USA getriebene. Auf beiden Seiten werden Entkopplungsprogramme gefahren. Das Ergebnis: getrennte Technosphären und konkurrierende globale Wertschöpfungsketten. Unsere Neuordnung wird durch geopolitische Bruchlinien definiert. Bisher dachten wir in Europa: Wirtschaftliche Verflechtungen stiften Frieden und Zusammenarbeit. Jetzt beobachten wir: Strukturelle Konflikte zerreißen alles und die globale Zusammenarbeit zersplittert. Europäische Unternehmen würden die neue Situation bereits ernst nehmen und reagieren. Beispiele: separate Headquarters in China, also getrennte Organisationen mit eigener Governance, separaten Technologien, Lieferketten und auch Finanzierungen in lokalen Währungen – weg vom Dollar.
Sein Fazit: Wir haben zwischen USA und China einen echten, klassischen Hegemonialkonflikt, und der geht nicht weg. China wird es nicht erdulden, dass die USA das Land auf Position zwei kleinhalten. Und die USA werden es nicht erdulden, dass China an ihrer Vormachtstellung kratzt. So unerwünscht und unangenehm der Weg auch sein mag, deutsche Unternehmen müssten der Gabelung in der globalen Wirtschaft folgen – separat statt kooperativ ist die Devise.
Der Militärexperte
Verhandlung und militärische Unterstützung muss kein Gegensatzpaar sein
Der Angriff Russlands auf die Ukraine brachte die berühmte Zeitenwende. Militärexperte und Oberst a.D. Wolfgang Richter führte die Gäste anhand von Kartenmaterial durch die verschiedenen Phasen des Ukrainekriegs.
Laden Sie sich hier die Präsentation herunter:
Keynote Richter
„Der Krieg hat seinen Gipfelpunkt noch nicht erreicht. Ein Siegfrieden ist nicht in Sicht. Ein Abnutzungskrieg ist wahrscheinlicher.“ Die Vermutung dahinter: Russland wird seine Luftangriffe steigern und hat noch große personelle und materielle Reserven. Richter beschreibt die sogenannte Doppelstrategie des Westens: wirtschaftliche Isolierung, sodass Russland nicht mehr in der Lage ist, die eigene Armee zu „füttern“. Sein Statement dazu: Russland kann international nicht isoliert werden. Denn es gibt Staaten, die sich raushalten, die nicht Partei ergreifen. Im Ergebnis treffen die westlichen Sanktionen Russland eher langfristig, nicht kurzfristig. Sie nehmen also kurzfristig keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf. Ein Verhandlungsfrieden wird nur erreichbar sein, wenn die militärische Lage die Beteiligten dazu zwingt. Er ist laut Richter dann sinnvoll, wenn die ukrainische Souveränität gewahrt wird. Verhandlung und militärische Unterstützung müsse nicht immer als Gegensatzpaar diskutiert werden. „Mein Rat lautet folgendermaßen: militärisch unterstützen und parallel Verhandlungsinitiativen und tragfähige Kompromisse ausloten.“
Herausfordernd sind die zwei bestehenden Narrative: klassisches Sicherheitsnarrativ auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein neoimperiales Narrativ, das sich überlagert. Es muss gelingen, Russland zu überzeugen, zu den klassischen Sicherheitszielen zurückzukehren. Alle seien daran interessiert, wieder über Rüstungskontrolle zu sprechen – allen voran die Amerikaner, im nuklearen Bereich. Die künftige europäische Sicherheitsordnung wird nicht mehr kooperativ sein, sondern konfrontativ. Wir werden auf beiden Seiten einen hohen Truppenansatz haben, entlang eines langen, eisernen Gürtels, der vom Nordkap hinunter bis zum Schwarzen Meer geht. Dieser Ausblick birgt natürlich Eskalationsgefahren.
Sein Fazit: Wir werden nicht drumherum kommen, den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen, wenn es möglich wird, im eigenen Sicherheitsinteresse. Die ersten, die dies tun werden, sind die USA.
Die Ökonomin
Deutschland als Exportnation mittendrin statt nur dabei
Auf den Kriegsausbruch folgte eine Kettenreaktion, durch steigende Energiepreise, Putins „Gaspoker“ und eine verstärkte Inflation, die schon vorher da war, mit über vier Prozent bereits vor Kriegsbeginn. Die Chefvolkswirtin der KfW-Bankengruppe Dr. Friederike (Fritzi) Köhler-Geib blickt mit gemischten Gefühlen auf 2023 vor diesem Hintergrund. „Wir stehen vor mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen der wirtschaftlichen Schrumpfung“, sagt sie. Wenn es jetzt im Winter keiner Rationierung für die Industrie bedürfe, dann könnten wir für 2023 mit einer milden Rezession rechnen. Der höchste Unsicherheitsfaktor ist die mögliche Gasknappheit – ein großer Belastungsfaktor für eine deutsche Wirtschaft, die so stark in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden ist. Ein Drittel der deutschen Wertschöpfung geht ins Ausland. Im Rückbezug zur Poliglobalisierung erläutert Dr. Köhler-Geib: Das langfristige Bild einer Fragmentierung werde Kosten für die deutsche Wirtschaft nach sich ziehen.
Nach dem Powertalk mit der Ökonomin startete Moderator Scholz die Dialogrunde zu viert.
Hauptthesen aus der Runde:
Die Neuvermessung der Welt wird militärisch mit großer Aufrüstung auf allen Seiten weitergehen. Wir kommen in eine konfrontative europäische Sicherheitsordnung hinein.
China geht es darum, historische Gelegenheiten zu erkennen und dann zu nutzen. Aus chinesischer Sicht trudeln die USA mit der nächsten Wahl in eine Verfassungskrise. Die daraus resultierende Handlungsunfähigkeit ist ein möglicher Auslöser für China, Taiwan anzugreifen. Auch in China hätte es Sprengkraft, wenn die Regierung wegen wirtschaftlicher Flaute ihr Versprechen an die Bevölkerung nicht mehr einhalten kann: „Ihr haltet euch raus aus der Politik und wir sorgen dafür, dass es euch gut geht“.
Wenn wir über die grüne Transformation sprechen, kommen wir an China nicht vorbei. Der Ukrainekrieg als Weckruf für Deutschland und Europa? Wir brauchen ein strategischeres Vorgehen in Sachen Transformation. Bis 2030 wird sich beispielsweise der Lithiumbedarf verachtzehnfachen, und wir importieren fast alles davon, größtenteils aus China. Mit Blick auf Rohstoffe werden wir viel stärker in Richtung Kreislaufwirtschaft denken müssen.
Andreas Scholz, Moderator:
„Vor zwei Jahren haben wir über den Tanz auf dem Vulkan 2.0 diskutiert – dieses Mal waren wir schon mehrere Schritte weiter.
Der geopolitische Vulkan ist ausgebrochen. Wir erleben nicht nur eine mehrdimensionale Zeitenwende, sondern wahrhafte Eruptionen.
Die Neuvermessung der Welt ist voll im Gange und unsere Experten haben uns in Echtzeit mitgenommen. Hochspannend, höchst informativ und beeindruckend.
Einmal mehr ein Investors´ Meeting am wahren Puls der Zeit.“